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Neuroathletiktraining – Teil 2

Florian Heck • 05. Juni 2021 • 7 Min.

Nachdem in unserem ersten Blogpost zum Neuroathletiktraining die Grundlagen und das visuelle System behandelt wurden, befasst sich der zweite Teil mit die beiden weiteren bewegungssteuernden Systeme: dem Gleichgewichtssystem und dem propriozeptiven System.

Das Gleichgewichtssystem 

Das Gleichgewichtssystem ist für die Orientierung im Raum zuständig, zeigt uns an, wo oben und unten ist, wo und in welche Richtung wir uns im Raum bewegen und koordiniert und stabilisiert unseren Körper in Ruhe und bei Bewegungen. Zudem steht es in enger Verbindung mit dem visuellen System, um den Blick während der Bewegung stabilisieren zu können. 

Unser eigentliches Gleichgewichtsorgan sitzt im knöchernen Bereich des Innenohrs. Dieses misst Kopf- und Köperbeschleunigungen und sendet diese Informationen zum Gehirn, wo sie analysiert und interpretiert werden. Dreh- und Rotationsbewegungen des Kopfes werden durch die Bogengänge gemessen und geradlinige Beschleunigungen durch die Makularorgane. Anstatt das „Gleichgewicht“ auf Wackelbrettern oder -kissen zu trainieren, macht es mehr Sinn durch Kopfbewegungen alle Bewegungsrichtungen gezielt zu adressieren. 

Die Gleichgewichtsorgane arbeiten überwiegend gleichseitig. Das rechte Gleichgewichtssystem beeinflusst demnach die rechte Körperseite und anders herum. Gibt es Funktionsdefizite im Gleichgewichtssystem auf einer Seite, führt dies meist Asymmetrien und Dysbalancen, sowohl auf struktureller als auch auf motorischer Ebene, welche sich durch Koordinations- oder Muskelspannungsprobleme zeigen. Ein gut trainiertes Gleichgewichtssystem ist demnach von essenzieller Bedeutung.

Kopfdrehungen und Aktivierung zugehöriger Gleichgewichtskanäle

KopfbewegungZugehöriger Gleichgewichtskanal
Rotation nach rechtsrechter horizontaler Kanal
Bewegung nach rechts obenrechter hinterer Kanal
Bewegung nach links untenrechter vorderer Kanal
Rotation nach linkslinker horizontaler Kanal
Bewegung nach links obenlinker hinterer Kanal
Bewegung nach rechts untenlinker vorderer Kanal

Quelle: Lienhard, L. (2019). Training beginnt im Gehirn. riva: München.

Übungen

1. Kopf- und Nackenbewegungen mit Blickstabilisierung

Durchführung:

  • Neutraler Stand, Mitte des Sterndiagramms fixieren, welches sich ca. 20-30 cm entfernt befindet
  • Kopf zügig, aber kontrolliert entlang der Linie nach rechts rotieren und langsam wieder zurück, Blick bleibt in der Mitte des Diagramms; 4 – 8-mal wiederholen
  • Gleiche Ausführung nach links, sowie diagonal rechts oben/ links oben/ rechts unten/ links unten
  • Bewegungsgeschwindigkeit kann mit der Zeit erhöht werden
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2. Aufhebung des vestibulookulären Reflexes (VOR-C)

Ziel dieser Übung ist es ein Objekt durch synchrone Kopf- und Augenbewegung verfolgen zu können

Durchführung:

  • Neutraler Stand, Vision Stick oder Kugelschreiber mit ausgestrecktem Arm auf Augenhöhe vor der Nase halten
  • Arm und Kopf synchron 3- bis 5-mal von links nach rechts und wieder zurück rotieren, Nase und Daumen bilden dabei immer eine gedachte Linie
  • Hinweis: Bewegung nach rechts= Stick in rechter Hand; Bewegung nach links = Stick in linker Hand
  • Gleiche Bewegung von unten nach oben, sowie diagonal: Stick in linker Hand = Bewegung von rechts unten nach links oben; Stick in rechter Hand = Bewegung von links unten nach rechts oben

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Das propriozeptive System

Das propriozeptive System kann auch als Bewegungssystem bezeichnet werden, da es über das Gehirn unsere Bewegung wahrnimmt, kontrolliert und reguliert. Dies geschieht durch Rezeptoren, die Empfinden von Druck, Zug, Dehnung oder Gelenkstellung senden. Die größte Anzahl an Mechanorezeptoren befindet sich an unseren Gelenken. Dadurch entsteht ein exaktes dreidimensionales Bild der eigenen Bewegung, welches ständig aktualisiert wird. Gleichzeitig findet ein permanenter Abgleich mit den Informationen des visuellen und vestibulären Systems statt. 

Beim Training steht insbesondere die Verbesserung des Inputs derjenigen Rezeptoren, die Informationen bezüglich Gelenkstellung, -bewegungen und Muskelspannung liefern, im Vordergrund. Denn wenn ein Gelenk zu wenig oder ungenaue Informationen meldet, wird die Leistungsfähigkeit sofort reduziert, was sich beispielsweise in weniger Kraft, Präzision und/oder Beweglichkeit darstellt. Durch Neuro-Mobility Training werden diese Rezeptoren gezielt adressiert, um die Bewegung im gesamten Umfang und bei jeder Geschwindigkeit kontrollieren zu können.

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Übungen

1. Nervendehnungen

Mit Hilfe peripherer Nerven werden Informationen zwischen Körper und Gehirn in beide Richtungen gesendet. Langes Sitzen, schlechte Technik oder mechanische Reize können dazu führen, dass sich die Gewebsqualität der Nerven verschlechtert, was zu Defiziten in der Ansteuerung, der Koordination oder Kraft führen kann. Durch gezielte Dehnung kann die Qualität wieder verbessert werden. Eine leichte bis mittlere Dehnspannung ist dabei komplett ausreichend um das Nervengewebe zu mobilisieren. 

Schienbeinnerv

  • stabilisiert den Fuß und verbessert seine Streckfähigkeit

Durchführung:

  • Auf Stuhlkante setzen, rechtes Bein ist gestreckt und linkes Bein locker aufgestellt, rechtes Bein in Richtung Körpermitte nach innen setzen, Außenkante des rechten Fußes nach außen und Zehen zum Schienbein ziehen
  • Dehnung 1: Kinn und Wirbelsäule vorsichtig nach vorne einrollen und Oberkörper langsam und kontrolliert leicht nach vorne in Dehnung hinein- und herauswippen; Dauer: 10-20 Sekunden
  • Dehnung 2: Oberkörper in Dehnposition halten und Knie rhythmisch beugen und strecken; Dauer: 10-20 Sekunden

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Peroneusnerv

  • mehr Stabilität im Sprunggelenk beim Anziehen des Fußes Richtung Schienbein

Durchführung:

  • Auf Stuhlkante setzen, rechtes Bein ist gestreckt und linkes Bein locker aufgestellt, rechtes Bein in Richtung Körpermitte nach innen setzen, rechten Fuß und Zehen in Richtung Boden strecken und nach innen drehen
  • Dehnung 1: Kinn und Wirbelsäule vorsichtig nach vorne einrollen und Oberkörper langsam und kontrolliert leicht nach vorne in Dehnung hinein- und herauswippen; Dauer: 10-20 Sekunden
  • Dehnung 2: Oberkörper in Dehnposition halten und Knie rhythmisch beugen und strecken; Dauer: 10-20 Sekunden

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Suralnerv

  • kann bei gereizten oder entzündeten Achillessehnen helfen

Durchführung:

  • Auf Stuhlkante setzen, rechtes Bein ist gestreckt und linkes Bein locker aufgestellt, rechtes Bein in Richtung Körpermitte nach innen setzen, Zehen des rechten Fußes leicht einrollen, Fuß zum Schienbein anziehen und Innenkante des Fußes anheben
  • Dehnung 1: Kinn und Wirbelsäule vorsichtig nach vorne einrollen und Oberkörper langsam und kontrolliert leicht nach vorne in Dehnung hinein- und herauswippen; Dauer: 10-20 Sekunden
  • Dehnung 2: Oberkörper in Dehnposition halten und Knie rhythmisch beugen und strecken; Dauer: 10-20 Sekunden

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2. Sensorische Stimulation

Über sensorisches Stimulieren durch Reiben, Vibrieren oder Klopfen auf das zu trainierende Zielgelenk werden Hirnareale aktiviert, die an der Informationsweiterleitung und -verarbeitung beteiligt sind. Die Strukturen werden dadurch neuronal vorbereitet, was die Ansteuerung erleichtert. Eine kleine Bürste eignet sich hervorragend dafür.

3. Mobilisation Fußgelenke 

Beim Stehen, Gehen und Laufen werden unsere Füße beansprucht. Besonders die Fußwurzelgelenke haben dabei einen entscheidenden Anteil bei der Kraftübertragung auf den Boden und liefern Informationen an das Gehirn. Außerdem enden einige Muskelschlingensysteme in diesem Bereich. Fehlende Fußgelenksmobilität kann zu Defiziten in diesen Muskelketten sorgen und die Fußstabilität beeinflussen. Die nachfolgenden Übungen bieten sich daher insbesondere unmittelbar vor einer Laufeinheit ein, können aber auch täglich in den Alltag integriert werden.

Outside Toe Pull

Mobilisation des Würfelbeins, welches in Verlängerung des kleinen Zehs Richtung Sprunggelenk liegt. Positive Auswirkungen auf die Kraft und Funktionalität der Hüftabduktoren.

Durchführung:

  • Zielgelenk (Würfelbein) 5-10 Sekunden stimulieren (s. o.)
  • Neutraler Stand, Gewicht auf das linke Beine verlagern, rechter Fuß auf den Fußspann hinter den Körper aufstellen, Ferse leicht nach außen fallen lassen; Tipp: Fuß evtl. auf leicht erhöhter, weicher Unterlage ablegen (Kissen, Balancepad etc.)
  • Gelenk 3- bis 5-mal langsam öffnen, durch leichte Beugung des linken Standbeins und Verlagerung des Körperschwerpunkts nach vorne, rechtes Bein fungiert nur als Hebel und wird nicht aktiv mitbewegt
  • Festhalten, um mehr Standsicherheit zu haben

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Middle Toe Pull

Mobilisation der Gelenkfläche zwischen mittlerem Keilbein und Kahnbein. Das mittlere Keilbein liegt in Verlängerung des 2. Zehs ca. 2 cm unterhalb des Sprunggelenks. Positive Auswirkungen auf die Kraft und Funktionalität der Beinstreck- und Hüftbeugemuskulatur.

Durchführung:

  • Zielgelenk (mittleres Keilbein) 5-10 Sekunden stimulieren (s. o.)
  • Neutraler Stand, Gewicht auf das linke Beine verlagern, rechter Fuß auf den Fußspann hinter den Körper aufstellen, Sprunggelenk sollte nicht nach außen kippen; Tipp: Fuß evtl. auf leicht erhöhter, weicher Unterlage ablegen (Kissen, Balancepad etc.)
  • Gelenk 3- bis 5-mal langsam öffnen, durch leichte Beugung des linken Standbeins und Verlagerung des Körperschwerpunkts nach vorne, rechtes Bein fungiert nur als Hebel und wird nicht aktiv mitbewegt
  • Festhalten, um mehr Standsicherheit zu haben

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Inside Toe Pull

Mobilisation der Gelenkfläche zwischen mittlerem Kahnbein und Sprungbein. Das Kahnbein liegt in Verlängerung des großen Zehs Richtung Sprunggelenk. Positive Auswirkungen auf die Kraft und Funktionalität der Hüftbeuge- und Adduktorenmuskulatur

Durchführung:

  • Zielgelenk (Kahnbein) 5-10 Sekunden stimulieren (s. o.)
  • Neutraler Stand, Gewicht auf das linke Beine verlagern, rechter Fuß auf den Rücken des großen Zehs leicht seitlich hinter den Körper aufstellen; Tipp: Fuß evtl. auf leicht erhöhter, weicher Unterlage ablegen (Kissen, Balancepad etc.) oder Schuh anziehen, um den großen Zeh zu schützen
  • Gelenk 3- bis 5-mal langsam öffnen, durch leichte Beugung des linken Standbeins und Verlagerung des Körperschwerpunkts nach vorne, rechtes Bein fungiert nur als Hebel und wird nicht aktiv mitbewegt; sollten während der Übung Knieprobleme auftreten kann das rechte Knie leicht gebeugt werden.
  • Festhalten, um mehr Standsicherheit zu haben

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Literatur

Lienhard, L. (2019). Training beginnt im Gehirn. riva: München.

Schmid-Fetzer, U. / Lienhard, L. (2018). Neuroathletiktraining – Grundlagen und Praxis des neurozentrierten Trainings. Pflaum Verlag: München.

Schmid-Fetzer, U. / Lienhard, L. (2020). Neuronale Heilung. riva: München.

Florian Heck

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